Ostukraine September 2017



Ein Wiedersehen nach 28 Jahren



Die Lavra von Svjatogirsk



Do. 7.9.

Abends Entscheidung für die Ukraine, nachdem die Wetter-Prognose für die Dolomiten und ganz Mitteleuropa wieder mal extrem schlecht ist. Gut ist es nur im südlichen Südeuropa und im östlichen Osteuropa. Buche Flug nach Kiew, perfekte Abflugzeiten.

Fr. 8.9.

Entspannter Tag, nur minimale Vorbereitungen nötig.

Sa. 9.9.

11:50 Abflug, 15:10 in Kiew, 1h Zeitverschiebung. Simkarte mit 2 Gb am Flughafen, Geld tauschen, Bus zur Südseite des Bahnhofs, nagelneu. Guter Espresso von mobilem Stand. 10 min zum ruhig in grünem Wohngebiet gelegenen Hostel von Lena.

Durch das üppig grüne Wohngebiet mit seinen Kachel- und Ziegelbauten zurück zum Bahnhof. Von der neuen Südhalle über die Gastro- und Ladenbrücke zur renovierten alten Nordhalle. Draußen stehen Frauen mit angehefteten Unterkunfts-Schildern. Laufe hoch zum Schewtschenko-Park an der Uni, hier brummt das Leben, esse ein locker sahniges Vanille-Schoko Eis am Stil. Stellt Magnum und Mövenpick locker in den Schatten.

Weiter zum Besarabska Markt, den Krestschatik Boulevard hoch, ist am Wochenende Fußgängerzone. Man baut grade auf für ein Sportfest morgen. Cafes an jeder Ecke, stationär, auf 2 und auf 4 Rädern. Super Wetter und Atmosphäre. Weiter zum Maidan, zum ersten Mal seit der legendären Kaukasus-Tour 1989. Das Häuser-Rondell erkenne ich sofort wieder. Feuertänzer und Musikfontänen nach Sonnenuntergang. Überall kleine Bands und Ukraine-Karaoke, teils mit hunderten Zuschauern, die begeistert mitgehen. Die totale Mc Donalds Inflation in Kiew.

Proppenvolle Metro zum Bahnhof, die Rolltreppen gehen in immense Tiefen, wegen einer Station lohnt das Fahren kaum, ein Vorgeschmack auf die zweite Münchner Stammstrecke. Ein Einheitspreis für alle Strecken, ca. 16 Cent.

Viel zu spät ins Bett, im Halbschlaf eine Mücke, einbalsamieren.

So. 10.9.

Schlecht und viel zu wenig geschlafen. Zum Bahnhof, Espresso, Metro zum Maidan. Hoch zur Sophia Kirche, zum Westende der Peyzazhna Panorama-Allee, die Allee die Hangkante entlang durch den ältesten Park der Ukraine bis zur Andreas-Kirche mit ihrer prächtigen Aussichts-Galerie. Ringsum bauen die Künstler ihre Werke auf. Kurz zuvor auf einer Wiese am Weg eine Feuerzeremonie einer Sekte.

Die Künstlerallee entlang zum schönen St. Michaels-Kloster. Durch die Parkanlagen runter zur Fußgängerbrücke rüber auf die Truhaniv-Insel. Sandstrände, Beachatmosphäre, dahinter wilder Auenwald, Flußarme und Seen. Die Pupplinger Au in Kiew. Viele Radfahrer und Angler, tagsüber keine Mücken.

Über die Brücke retour, aufs Hochufer, am schön in den Park eingebetteten Kindertheater vorbei zum Maidan. Das Sportfest ist fast vorbei. Eine Runde über den Boulevard. Wanja zettelt eine Schlägerei mit Glasflasche an, wird schnell von der Polizei und seiner Freundin gebändigt. Eine Kleinigkeit essen, Metro zum Bahnhof. Ticket nach Poltava kaufen. Borschtsch in der „Pasata Chata“. Supermarkt, Hostel, bin reichlich geschafft heute. Gibt extrem wenig Westler in der Stadt.

Mo. 11.9.

Duschen, packen, hoch auf den Hügel durch die Wohngebiete. Überall wuchern neue Hochhauscluster. Ausgedehnte Runde über die Höhe und durch diverse Parks, lange Brotzeit an der Bergstation des ersten Skilifts. Dahinter Krankenhaus an Krankenhaus. Hinter den Krankenhäusern 1 qkm dschungelartiger Waldfriedhof.

Unter den Schienen hindurch, hoch zum Ausblick auf dem Kanonenhügel der alten Kiewer Burg über dem Olympiastadion. Runter zur Metro, zum Bahnhof, Verpflegung kaufen, Cappucino, zum Zug. IC, voll ausgebucht, Sitzplatz vorgegeben, links 3 Reihen, rechts 2, Entertainment-Monitore wie im Flugzeug, mit Zugrestaurant und Rollwagen. Die Pflicht-Platzkarte kostet das 5fache des Ticketpreises. Oberschichten-Zug, voller Apple-Jünger. Draussen eine freundliche Landschaft aus Wald, Feldern und ein paar Siedlungen, alles bretteben.

Pünktlich in Poltawa, Bus ins Zentrum, Tip-Top Hostel, vor 2 Monaten neu eröffnet. Dann den grünen und gemütlichen Bummelboulevard entlang zur Kathedrale mit weitem Ausblick Richtung Osten. Wald bis zum Horizont, goldene Kuppeln auf den Hügeln ringsum. Ein gemütliches Idyll, vor allem verglichen mit Kiew, ohne Döner- und Sandwichbuden, aber mit genausoviel Cafes aller Art. Und Apotheken. Rotwein gibt es auf dem Boulevard in 50 und 250 ml. Eine Autosegnung an der Kirche am Weg zum Aussichtspunkt im Westen vom Park. Viel zu früh wird es dunkel.

Di. 12.9.

Frühstück holen im 24h-Laden am Eingang der Fußgängerzone. Zum Bahnhof laufen, es gibt mehr (Trolley-) Busse als PKW auf der Straße. Ticket holen für 8:33 nach Charkiw. Vor dem Bahnhof warten 6 Sammeltaxis, 3 nach Charkiw und 3 nach Kiew. Zug im deutschen IC Stil mit Bistro und halbem Kilometerpreis wie gestern. Ich bin der Einzige der in Poltawa einsteigt, die Schaffnerin nimmt mir gleich beim Einsteigen das Ticket ab. Lecker handgebrühter Mokka im Bistro.

In der brütenden Mittagshitze Ankunft in Charkiv, Richtung Osten wird es immer wärmer. Über die Gleisbrücke ins Hostel, gut getarnt im Dachgeschoss, alles nagelneu und sehr geräumig, bombastischer Ausblick aus meinem Zimmer. Teatime.

Retour zum Bahnhof, für morgen früh Ticket nach Svjatogirsk kaufen. Metro hoch zum gigantischen Svobody-Platz, wird gerade schwer umgebaut, genau wie der Schewtschenko-Park nebenan. Der Derschprom-Komplex, Stalins erster Wolkenkratzer, passt erstaunlich zum heutigen Zeitgeist.

Durch den Park ins Zentrum rings um den Konstitutsiyi-Platz mit seinen Kirchen und Aussichtspunkten und der Pazata Chata an der Ecke. Noch eine Schleife durchs Zentrum, dann runter zum Bahnhof, Lebensmittel kaufen, 3 gut bestückte Supermärkte. Stimmungsvolle Atmosphäre auf dem Bahnhofsvorplatz, inkl. Straßenmusik.

Ins Hostel, duschen, dann interessanter und ausgiebiger Küchenschwatz mit einem Norweger, einem Marokkaner, einem Ukrainer aus Donezk und einem Taiwanesen.

Der Norweger war in 146 Ländern, teils dienstlich, war mit einer Peruanerin verheiratet mit 4 Kindern, jetzt geschieden. Der Ukrainer lebt jetzt in Polen und lernt in jeder freien Minute deutsch, um für mehr Geld in Deutschland arbeiten zu können. Der Marokkaner hat einen Bruder der seit 20 Jahren in Stuttgart lebt und will demnächst auch nach Deutschland übersiedeln. Der Norweger erzählt von den Polen, die für 20 Euro Mindestlohn nach Norwegen kommen. Dafür kommen dann die Ukrainer nach Polen für 4 Euro Mindestlohn, von denen sie aber nur 2 zu sehen bekommen. Der Ukrainer und der Marokkaner präparieren sich mit viel Aufwand was zum Rauchen. Der Norweger brutzelt mit noch mehr Aufwand ein Huhn.

Mi. 13.09.

Werde nachts gründlich zerstochen, bis ich mich aufraffe und zum Mückenmittel greife. Beizeiten raus und zum Bahnhof, frühmorgens schon 21 Grad. Bei Freshline am Springbrunnen einen leckeren Espresso, bei allen anderen gibt es morgens nur Nestle aus der roten Allegro-Maschine. Schöner Blick auf den golden in der Morgensonne leuchtenden Bahnhof mit Spiegelbild im Springbrunnen. Die Hausfrauen stehen Spalier und verkaufen leckere Augustäpfel, Hagebutten und Birnen.

Zum Zug, man hat mir einen Sitzplatz im Schlafwagen zugeteilt, zum Glück sind die Leute schon munter. Ich werde gleich gefragt woher ich komme und ob ich in den Donbass will. Extreme Spannbreite der Zugpreise in der Ukraine: IC+ kostet  10 Cent/km (wo es keine zweite Klasse Waggons gibt), heute kostet es ca 0,5 Cent/km.

Als ich anfange, Weintrauben zu essen, werde ich gleich mit einem umfangreichen Frühstück versorgt, inkl. Wasser und der Bemerkung "nje Schnaps". Draußen die Laubbäume färben sich schon gelb.

Erfahre am Bahnhof, dass der Zug nach Charkov erst wieder am Freitag fährt. Gehe dann auf das klassisch russische Klo, ein Typ mit Bike fragt mich danach wie ich es finde und meint es ist "terrible". Habe dann Glück, es fährt gerade ein Bus in den 5km entfernten Ort. Die Fahrt geht durch eingezäuntes, kieferbestandenes Gelände mit vergrabenen Panzern.

Checke dann ein in mein Luxusappartment mit Terrasse und glasklarem Blick übers Dorf auf die sattgrünen Hügel und die Lavra. Teatime, draußen schon über 30 Grad bei weißblauem Ukrainerhimmel.

Zum Busbahnhof, es gibt keine Direktbusse mehr nach Dnipro und Kharkiv. Über Slavjansk kein Problem, allerdings nur ein Bus um 05:30 nach Dnipro, dafür etwa jede Stunde nach Kharkiv. Züge gibt es, aber nur zu ungünstigen Zeiten, bis auf einen Nachtzug nach Odessa.

Dann durch den malerischen Auenwald zum Fluß, Eis & Cappucino. Den unteren Teil der prächtigen Lavra anschauen, die obere Lavra gibts  nur mit organisierter Führung. Durch einen der oberen Ausgänge auf den Hügelkamm, zur Holzkirche und weiter zum Heldendenkmal. Dann in weiter Schleife durch den schönen Laubwald nach unten.

Gegenüber der Lavra am Fluß entlang, die Lavra von der Abendsonne prächtig beleuchtet. Supermarkt, planen auf der Terrasse. Entscheidung für Charkiv via Slavjansk, auch wenn das Außenministerium von Slavjansk abrät.

Do. 14.9.

Früh alles voller Pfützen auf der Straße, es war aber kein Regen, sondern die Straßenreinigung. 

Zum Busbahnhof, schaffe den 6:30 Uhr Bus in letzter Minute. In Slavjanka vom Bus aus keine Kriegsschäden zu erkennen. Schaffe unter Umgehung des Ticketschalters gerade so den 7:10 Uhr Bus nach Kharkiv. In Izjum dann gleich eine lange Pause.

Erfreulich: Oft gibt es nur EDGE Empfang in der Provinz, aber im Gegensatz zu Deutschland funktionierter er hier!

Kommen nach knapp 4 Stunden  in Charkiw weit draussen an der Metro Industrijalna an. Zum Bahnhof, für 13:00 Uhr IC+ Ticket nach Myrgorod, großes Problem mit meinem Reisepass, er geht nur mit Hängen und Würgen und mehreren Versuchen durchs Geldwechsel-Drehkreuz.

Dann endlich einen verspäteten Morgen-Cappucino mit schönem Blick über den freundlichen Bahnhofsplatz. Es hat deutlich abgekühlt im Vergleich zu gestern. Zur Apotheke, Zink kaufen, fühle mich deutlich angeschlagen heute. Die schlafarmen Mückennächte. Noch etwas rumspazieren, 13:15 Abfahrt, gut 2 Stunden später in Myrgorod. Kristallklares Wetter, perfekte Temperatur. Für morgen 9:50 IC+ Ticket nach Kiew kaufen. Dann nach 5 min Warten mit Minibus ins Zentrum, noch 5 min laufen bis zur Luxusherberge hinter einem hohem Zaun. Keiner hört mein Klingeln, ich muss den Chef anrufen, nur 2 min später öffnet eine Frau. Monster-Flachbild TV im Zimmer und himmlische Ruhe ums Haus.

Düse sofort los, im schönsten Spätnachmittagslicht durch die Kuranlagen und den ausgedehnten Auenpark mit seinen Brücken und Lecker-Äpfel verkaufenden Babuschkas. Viel los am Kulturzentrum des Parks, morgen und übermorgen abend gibt’s Konzert.

Den Fluß entlang zur Fußgängerbrücke am Ende der Stichstraße der Stadt-Halbinsel. Daneben wächst gerade eine Autobrücke, mit der es bald vorbei sein wird mit der Kurort-Gemütlichkeit.

Nach Sonnenuntergang gleich in die Herberge zum Duschen und Auskurieren.

Fr. 15.9.

In der Morgensonne Spaziergang durchs Stadtzentrum und den Kurpark, im Park einen der schlechtesten Kaffees aller Zeiten. Zu Fuß zum Bahnhof, pünktlich um 9:52 Uhr geht’s mit dem IC+ los nach Kiew.

In Kiew bewölkt und kühl. Mit der Metro nach Libereschna auf die andere Dnjepr-Seite, das kleine Hotel liegt direkt am Rand des freundlichen Marktes. Drehe dann eine Runde durchs Viertel und esse in der Pasata Chata.

Metro hoch zur Uni, Fomin-Park, Trauungs-Zeremonie in der Vladimir-Kathedrale, Cappucino im Bildungsministerium, Eskimo-Eis im Schewtschenko Park, eine Runde durch den Besarabska Markt, eine Runde durch das Viertel dahinter. Frauen-Kirche in der Klinik, am Präsidentenpalast vorbei, Essen in der Dicken Hütte im Maidan Untergeschoss. Metro zurück ins Hotel.

Sa. 16.9.

Nachts schlagen wieder die kleinen Stechtiere zu, früh sieht man keine Quaddeln. Packen, Metro nach Arsenalna. Laufe Richtung Hochufer, schöner Blick auf die andere Seite in der Morgensonne. Die Upper Lavra, zu dieser frühen Stunde fast menschenleer, glänzt mit ihren vielen goldenen Kuppeln. Runter zur Lower Lavra, die Gottesdienste sind schon im Gang, Pilgerinnen-Grippen warten mit Kopftüchern auf die Öffnung der Mumien-Höhlen. Klaustrophobische Enge da unten, Ausgang schwer wiederzufinden, dunkel ohne die Kerzen der Pilger.

Laufe dann retour zum Chrestschatik und in die neue Herberge. Chaotisch-liebenswürdiges Hostel, die meisten schlafen noch, gestern abend war Party, Checkin geht erst 14 Uhr. Teatime mit Staff und Katze, Rucksack auf Schrank parken, ein Deutscher beschwert sich über das faule Personal.

Spaziere durch die Stadt, ein extrem leckerer und reichhaltiger Falafel beim Libanesen auf der Rückseite des Besarabska.

15:00 Checkin, habe das einzige private Zimmer des Hostels. Start zum Botanischen Garten, kein Eingang am Südende. Ist so groß wie der englische Garten. Ganze Waldgebiete aus aller Welt sind nachgebildet. Schöner Aussichtspunkt oben an der kleinen Kirche. Halber Liter Kwas gegen die Hitze.

Mit Bus, per Pedes und Metro wieder ins Zentrum. An der Metrostation testet man gerade ein neues, kompliziertes Ticketsystem mit Papiertickets, die nur noch 30 min nach Kauf gültig sind. Auf dem Krestschatik baut man gerade auf für die Feier zum 500sten Jahrestag der Reformation. Noch etwas mit den Massen herumflanieren, ein letztes Essen in der Dicken Hütte, einkaufen bei Billa.

So. 17.9.

Es war eine ruhige und stichfreie Nacht. Bin der erste, der aufsteht. Leckerer Cortado auf dem Chrestschatik. 20 Grad schon am Morgen. Noch eine Runde über den Maidan und eine durch den Schewtschenko-Park. Zum Bahnhof, Croissant, Cappucino. Airport Bus, am Checkin keine Wartezeit! An der Sicherheitskontrolle nur wenige Minuten. Keine Chance, irgendwo das Geld zurückzutauschen. Pünktlicher Abflug. Die Frau des dicken Pärchens neben mir bekommt von der Stewardess  eine Gurtverlängerung.




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